Google Plus: Eine Hermeneutik

In den letzten drei Tagen gab es einiges zu lesen über Google Plus. Der Facebook-Killer wurde er gennant, es wurden wilde Theorien über den Erfolg oder Misserfolg aufgestellt, Analysen versuchten Schwächen herauszufinden, Tendenzen zu ermitteln und wagemutig wurde geklickt und kommentiert und „gehangouted“. Was mag dazu noch zu sagen sein? So einiges, denn ich habe nicht das Gefühl jemand ist der Sache auch nur ansatzweise nahe gekommen.

Schon seit langem denke ich mir: Das Problem des Netzes ist die in ihm verwendete Sprache. Hier also der Versuch ein wenig tiefer einzudringen und herauszufinden, wie Google tickt. Folgende Fragen habe ich mir gestellt und versucht zu beantworten: Welche Denkweise hat zu dem geführt was wir jetzt als G+ sehen und inwiefern zeigt es wo es in Zukunft hingehen soll? Warum denke ich, das es Marketing-Menschen und Social Media Manager recht schwer haben werden G+ wie Facebook zu missgebrauchen? Und warum ist das gut so? Das alles bewerkstellige ich mittels einer kleinen Analyse der Sprache.

Warum G+ kein Killer ist, brauche ich denke ich nicht zu erklären. Nur soviel: Mehrere Plattformen mit unterschiedlichen Eigenschaften können durchaus nebeneinander existieren, im Besonderen, wenn sie auf unterschiedlichen Geschäftsmodellen beruhen. Grundsätzlich ist jeder Beitrag indem ernsthaft von einem KillerX gesprochen wird zu ignorieren, weil es – zumeist schon im Titel – anzeigt wie wenig Substanz sich dahinter verbirgt.

Für alle, die jetzt noch gar nichts von G+ gehört haben, oder noch nicht all zu viel darüber wissen, sei hier das 100 Sekunden Video von Galileo ans Herz gelegt.

Ich versetze mich in die Situation eines Google Entwickler-Teams, das die Aufgabe hat, erst einmal herauszufinden, inwiefern soetwas wie eine soziale Strategie für Google funktionieren könnte. Wie gesagt, es geht nicht darum Facebook oder Twitter zu imitieren oder zu eliminieren. Aber worum geht es denn nun? Es geht darum das erfolgreiche und bereits bestehende Geschäftsmodell zu unterstützen: Das Suchmaschinengeschäft. Alle bisher gelaunchten Produkte haben das auf die eine oder andere Weise versucht, mit mehr oder weniger starkem Erfolg. Android war zuletzt äußerst erfolgreich, so sehr, das ein deutlicher Umschwung von der Applemanie zu Android zubemerken ist.

Wie kann das gelingen? Es darf nichts so sehr verändert werden, das die Google-Such-Experience gestört wird. Es sollte: An Google binden, ohne „zu binden“ (obwohl die Analogie zum „einen Ring“ durch die Circles nahe liegt. Doch: Widerstehet der Versuchung der dunklen Macht!). Es muss durch seine Funktionalität überzeugen und nicht durch die Barrieren den Nutzer einschränken. Und, abgesehen von dem was problemtaisch an vorherigen Versuchen soziale Aspekte in Google zu integrieren war und was andere soziale Netzwerke nicht so gut machen (Facebooks Farmville Spam): Es gilt einen genaueren und für die Aufgabe des besseren Suchens und Gefundenwerdens einen sozialen Grafen zu erstellen, mit dem das möglich ist.

Was Google von sich und von anderen lernen konnte. Google hat sicherlich die Chance ergriffen, um das scheinbare Scheitern von Wave genaustens zu analysieren und festgestellt, das es zu kompliziert war um Traktion für die breite Masse zu erzeugen. Egentlich war es doch ein gutes Produkt und es hat auch funktioniert. Aber es war schlicht zu umfangreich, zu kompliziert und zu mächtig. Nimmt man sich andere soziale Netzwerke vor, so stellt man fest, das sie in der Zwischenzeit besonders für bestimmte Nutzergruppen interessant sind. Twitter ist hauptsächlich für Informanten, Sammler, nüchterne Multiplikatoren, die direkt an den Meinungsmachern sitzen möchten. Das Prinzip „Follower“ begünstigt das. Facebook hat durch seinen Walled-Garden-Karakter eine ungünstiges und bedrohliches Image erzeugt, besonders durch die Privacy-ist-gestern-Attitüde eines Zuckerberg. Bedeutsamer für die Analyse ist jedoch die Organisation der Nutzer untereinander und die Verwendeten Metaphern. „Freund“ war schon recht bald ein toter Begriff auf Facebook. Eigentlich ein deutliches Zeichen, das hier etwas nicht stimmt.
Nehmen wir zuletzt noch Xing als deutsches Netzwerk: Hier ist alles recht geschäftlich und seriös. Aber die Struktur ist Facebook-ähnlich und nach dem Relaunch vor wenigen Wochen wurde dass sogar noch verschlimmbessert. Wäre schön gewesen da eine neue auf Geschäftsbeziehungen bezogene Metaphorik zu bekommen, um sich deutlich von Facebook (das ja nicht gerade für Seriosität steht) abzugrenzen. Diese Chance wurde versäumt, weil nicht auf das eigene Geschäftsfeld und die Klientel, sondern auf den großen Bruder Facebook geglotzt wurde.

Das hat Google viel besser gemacht. Die Entwicklerteams haben verstanden wie Twitter und Facebook funktionieren und die Usecases gesehen. Sie suchten nach einer Metapher, die sie mit Circles gefunden haben, aber die bei weitem nicht so offen ist wie einfach nur ein Follower, jedoch auch nicht so sehr eingeschränkt ist wie der Begriff Freund. Noch viel wichtiger aber: Der Nutzer selbst bestimmt wie er die Beziehung zu einem Kontakt definiert. Kreis ist die perfekte Metapher. Nur damit hier keine Missverständnisse aufkommen: G+ versucht nicht die Realität abzubilden. Es befriedigt die Notwendigkeit eines flexiblen Kontaktmanagements. Dazu gehört, dass man durch selbst vergebene Kreisnamen sofort weiß, um welche Gruppe von Kontakten es sich handelt und wie und was dort gesendet werden kann. Wie die Realität aussieht sollen Philosophen und Soziologen beantworten (oder andere Berufene).

Lese außerdem: „9Reasons to switch from Facebook to Google+“

Marketing-Menschen werden es schwer haben sich hier zu behaupten. Das liegt daran, das es die Möglichkeit gibt zu verhindern, das der Inhalt, den ich erstellt habe, unendlich weiter gegeben werden kann. Sicher gibt es immer noch die Möglichkeit etwas manuell zu übertragen. Auch wird darüber spekuliert ob und wann eine API kommen wird, die das Spamen aller Sozialen Netzwerke mittels oder an G+ ermöglichen. Aber es gibt zwei Argumente, warum ich glaube und auch sehr darauf hoffe, das es so weit nicht kommen wird.

Punkt Eins: Der Nutzer entscheidet über die Art der Beziehung. Während Twitter und Facebook recht starre Gerüste sind, hat man über G+ selbst die Möglichkeit zu bestimmen wer was bekommt. Alles einfach immer öffentlich zu posten mag zunächst sinnvoll erscheinen, um einen möglichst weiten Spread zu erzeugen. Die Freunde und Kollegen werden es einen aber spüren lassen (so ist meine Hoffnung), wenn stets in aller Öffentlichkeit über eventuell nicht für aller Augen Gedachtes hinausposaunt wird. Auch entscheide ich jetzt endlich was ich von wem sehe und was nicht. G+ ist auch Hoffnung für all jene, denen der unendliche Stream von Belanglosigkeiten oder unwichtigen Themen auf Facebook gestört hat. Auf Twitter hat man die Möglichkeit zu unfollowen. Einen (echten) Freund zu unfollowen, weil er „spamt“ wird schwieriger und was dann geschieht ist bemerkenswert: Es wird sozialer Druck ausgeübt, der dazu führt, das nicht mehr gespamt wird, was auch immer das zunächst bedeutet. Das ist meine Theorie. G+ fügt mit seiner offenen Metapher ein soziales Regulativ ein.

Punkt Zwei: Qualität. Es gibt ein eigenes Universum im Internet von Menschen, die sich gegenseitig reposten und zitieren. Das scheint zunächst nicht schlimm. Doch inhaltlich geht es „nur“ ums reposten und zitieren. Die Darstellung ist zwar etwas verkürzt, aber es trifft durchaus zu, das es da ein Sub-Netz gibt, die gegenseitig über ihre eigenen Aktivitäten zuschicken. G+ offenes Metaphernsystem inkludiert aber Freunde, Partner, Geschäftspartner, usw und diese erfordern jeweils völlig unterschiedliche Kommunikationsstrategien. Sie erwarten nicht nur Meta-Gezwitscher sondern Inhalt. Und deshalb müssne sie entweder sehr gut im sammeln von Informationen sein und ihre Kreise mit dem versorgen, was erwartet wird, oder sie bleiben in ihren eigenen Kreisen, aber dann sind sie eigentlich uneffektiv, zumal es ihnen ja darum geht sich so stark wie möglich zu vernetzen. Das wiederum klappt aber nur effektiv, wenn sie in die Kreise kommen, die von Wichtigkeit sind. Doch da kommen sie nur über Qualität und Inhalte und Autentizität hinein.

Kurz: Marketing und PR Menschen werden es schwer haben (oder sie konzentrieren sich auf Facebook). Oder: Sie fangen an qualitativ hochwertig und inhaltlich interessant zu arbeiten. Sie haben jetzt die Wahl.

Ich komme zum Schluß. Meine Prognose sieht wie folgt aus (und ich werde bestimmt eines besseren belehrt, das ist gewiss!): Eine API wird es nur insofern geben, als das sie Inhalte exportiert, um von anderen Seiten oder Apps gelesen zu werden. Fürs Schreiben in G+ braucht es eigentlich nichts, denn die bereits vorhandene Möglichkeit ist nahezu perfekt. Sie erfüllt ihren Zweck. Mit einem Multi-SN-Tool das was man mitzuteilen hat auf jegliches SN des Universums zu posten, macht in meinen Augen, und ich denke auch in den Augen von Google, keinen Sinn.
Eine API für Spiele macht ebenso keinen Sinn. Die Integration von nützlichen Tools wie zum Beispiel den Google Docs ist sinnvoll. Auch mehr interaktive Produktivtools. Und warum? Google sieht keinen Mehrwert für das Suche, Finden und Kommunizieren in farmville und ähnlichem.

Damit schließe ich den Beitrag, bedanke mich für die Lesebereitschaft und ermutige zum kommentieren. Da gibt es sicherlich den einen oder anderen Punkt, nicht war?

Quelle Bild: Jojos illustrierte Blog

The Technology behind Google+ Hangouts
Wikipedia: Hermeneutik

3 Comments Google Plus: Eine Hermeneutik

  1. Dagmar

    Hi Droid Boy,

    ich bin gerade auf Deinen Artikel gestoßen. So ganz hat sich mir bisher der Reiz von Google+ noch nicht erschlossen, ich kann da noch zu wenig interessante Informationen rausziehen – vielleicht habe ich ja die falschen Leute in meinen Circles 🙂

    Gruss
    Dagmar

  2. Droid Boy

    Vielleicht. Die Frage is doch, was du damit machen möchtest. Mit Freunden in Verbindung bleiben? den Freundeskreis erweitern? Informationen sammel über bestimmte Themen? Geschäftskontakte knüpfen?
    Danach richtet sich deine Message und welche Sategie zu verwendest.
    Google Plus kann das alles, deswegen ist er’s mal nicht ganz klar was man denn metzgt damit macht, wenn an nicht schon mit einer gewissen Erwartung ran geht.

    Gruß Droid Boy

  3. davednb

    aber ist das nicht erst der zweite Schritt? Zuerst sollten doch erst die Funktionen, UI und Möglichkeiten klar sein bevor man sich überlegt, wofür man das nutzen könnte – siehe Twitter – erst wenn ich weiss, was das kann, wie ich es nutzen kann überleg ich mir den Einstatzzweck. Oder Xing/Linkedin – da weiss ich was es kann (Adressverwaltung meiner externen Kontakte :-)) und dann wie ich es nutze 😉
    Und das ist ja das issue – wenn ich nicht weiss was G+ alles kann (Sparks, Hangout, Circles etc) dann kann ich mir auch nicht überlegen, wie ich das zielgerichtet für meine Zwecke einsetzen kann. Mal abgesehen von all den Sideeffects wie privacy etc – das ist für mich dann der 3. Schritt der Analyse (und der Grund, warum mein facebook account idlet…).

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