Threads und die Suche nach dem heiligen Twitter-Nachfolger

Bluesky! Threads! Oder doch Mastodon? Das Geschnatter auf Threads ist seit ein paar Tagen wieder europäisch gefärbt. Während der Rest der Welt schon seit Anfang Juli dieses Jahres eifrig den Twitter-Klon von Meta nutzen konnte. Mit ein wenig Kreativität konnten auch wir Europäer Threads für circa eine Woche nutzen, dann wurden wir von Meta ausgesperrt. Grund dafür sind ein paar Regeln, die wir uns in Europa für die Nutzung digitaler Plattformen haben einfallen lassen.

Jetzt, da wir endlich wieder dabei sind, weil Metas Instagram-Abteilung mutmaßlich die Software so gebaut hat, dass unsere Regeln eingehalten werden, wird eifrig darüber philosophiert, inwiefern das Netzwerk mit den für uns Deutschen unaussprechlichen Namen ein adäquater Twitter-Ersatz sein könnte.

Bemerkenswert ist, dass Bluesky es wohl nicht war. Obwohl sich Bluesky damit wirklich Mühe gegeben hat. Bluesky versuchte nicht mal zu verstecken, dass man ein Twitter-Klon ist. Aber es fehle halt an vielen Features, die es bei Twitter gab. Wo bleiben die Direktnachrichten? Was ist mit Video? Und wann können endlich alle auf Content zugreifen, auch ohne einen eigenen Account zu haben? Das gilt als Hürde, den Sprung in den Mainstream zu schaffen. Kommt natürlich alles, hört man von den Entwickelnden. Aber in der Zwischenzeit kam halt Threads.

Echt Zeit für Echtzeit

Um vor allem relevant für News zu werden, also eine echte Echtzeitkommunikation zu ermöglichen, die Twitter in Lagen so nützlich machte, braucht es ein echtes digitales Lagerfeuer und nicht viele kleine Brandherde.

Mit der Echtzeitkommunikation haben es Mastodon, Bluesky und Threads alle nicht so. Die Gründe sind so vielfältig wie die Netzwerke. Mastodon ist noch recht klein und die Viralität gering, weswegen es da zu Themen oft eher im Anschluss interessantes zu lesen gibt, sozusagen als Linkschleuder. Bei Bluesky waren bisher auch noch nicht so viele Teilgebende, was sich aber seit ein paar Wochen geändert hat. Der X-odus der Medien scheint in vollem Gange zu sein. Doch fehlende Hashtags erschweren eine Echtzeitkommunikation. Und Threads? Adam Mosseri, der Boss von Instagram, stellte dazu klar, dass es Hashtags, wie wir sie von Twitter kennen, eher nicht geben wird. Laut Mosseri liege das daran, dass das zu deutlich mehr Spam führe. Ich sage, das kostet vor allem viel Geld, weil Moderation auf hohem Niveau noch immer menschengemacht und damit teuer und anstrengend ist. Und auf dem Meta-Level kostet das gleich richtig viel Geld. Die Logik ist also: Alles, was Spam verhindert, ist gut.

Reicht die Reichweite?

Für Journalist:innen mag die Echtzeitkommunikation spannend sein. Für die Marketeers, die Brandmanager und Social Media Gurus wird ein Netzwerk vor allem dann relevant, wenn es groß ist. Das sorgt zum Beispiel dafür, dass noch immer Menschen und Marken auf X sind, obwohl es wirklich überhaupt gar nicht mehr geht. Wenn jetzt eine Marke stolz verkündet, man sei jetzt auch nicht mehr auf X, sage ich: Shame on you, dass du so lange gebraucht hast. Aber X war halt bis zuletzt relevant, weil Reichweite. Es war zwar unmoralische Reichweite, aber das interessiert letztendlich nicht. (Grüße gehen raus an die Crypto-Bros)

Wegen Reichweite war Mastodon nie relevant und wird belächelt, Bluesky kam jetzt zumindest in die engere Auswahl, weil es interessantes Wachstum hinlegte und Menschen und Marken, die schon zuvor auf Twitter relevant waren, jetzt auch auf Bluesky sind. Und darum könnte Threads auch relevant werden, weil Reichweite. Klaus Eck, ein ziemlich relevanter Marketing-, und Kommunikationsberater, ist daher in Sachen Threads zuversichtlich.

Ein digitales Heim für die Heimat

Dann gibt es noch die, die eine digitale Heimat suchen. Oder auch, wie wir unter uns Suchtberater sagen: eine mobile Beratungsstelle für Social-Media-Süchtige. Und hier kommen wir langsam auf die merkwürdigste aller Errungenschaften seit der Web2.0-ifizierung des IRC-Chats, des Forums und des elektrischen Kettenbriefes zu sprechen: Menschen, die eine Heimat in einer Infrastruktur oder auf einer Plattform suchen und verorten, obwohl diese von einem multimilliarden-schweren Konzern, oder einem schneidigen Startup aus dem Silicon Valley betrieben werden. Heimat und digitale Kommunikationsplattform, sind zwei Dinge, die ich so nicht zusammen bekomme. Für mich klingt das wie ein Überbleibsel aus der guten alten Web 2.0 Zeit, zu der Narrative wie „In Zukunft werden wir alle in Social Media leben.“ gepflegt wurden. Doch in der Zwischenzeit gab es eine digitale Ernüchterung. Der Cyberspace macht uns so eben nicht alle freier. Das Internet wurde auf die brutalst-vorstellbare Art kommerzialisiert, bis hin zur Crypto-Perversion. Und Demokratien müssen gegen die kommunikative Macht der Plattformen regelrecht ankämpfen. Es begann mit Facebookpartys und endete mit Stürme auf Capitole und Reichstage.

Ich würde mich grundsätzlich zur These hinreisen lassen, dass Heimat im Digitalen nicht möglich ist. Zu volatil sind Machtverhältnisse. Selbst der eigene Blog kann trotz maximaler Autonomie keine Heimat sein. Der Blog kann eine kommunikative Außenstelle, eine Botschaft sein. Ein Kurznachrichtendienst seine telegraphische Fernkommunikation.

Und eigentlich sollten diese Plattformen doch einfach nur ein Kommunikationsnetzwerk sein, auf denen wir uns vernetzen und austauschen können. Und nach dessen Benutzung es uns besser geht, weil wir uns sozial ausgetauscht haben, etwas gelernt haben, oder uns mindestens gut unterhalten gefühlt haben. Ist das aktuell irgendwo möglich? Ja, immer wieder, hier und dort. Und dennoch stößt du auf dem einen Netzwerk auf neo-lliberale Musk-Fanboys, auf Faschisten, Nazis, woanders auf Porno, und hier auf ausgedrückte Pickel, oder auf nichts verfängliches, weil es eben von der chinesischen Regierung gelöscht wurde. Keine Nippel in den USA, dafür Ku-Klux-Klan. Oder auch auf einen hypnotischen Algorithmus, der dich nach drei Stunden aus seinen Fängen entlässt, und du plötzlich wieder deinen Körper spürst.

Warum ein Weiter-so nicht geht

Das führt mich zum Ende dieser Eruption über das, worüber wir uns gerade über die vierfachen Twittervariationen austauschen, zur problematischsten aller Narrative: Der Twitter-Ersatz.

An die Twitter-Suchtis, die ihr eure digitale Heimat verloren habt, und an die Brandmanager und Marketeers und Corporate-Influencer, die nach der maximalen Reichweite streben, an die Journalist:innen, die wesentliche Teile ihrer Recherche in Social Media machen und Ihre Texte so unters Volk bringen: Twitter war auch schon vor der Twittercalypse durch Musk ein mehr als problematisches Netzwerk. Dass uns erst ein Musk dies vor Augen führen musste, ist eigentlich erbärmlich. Und das es dennoch weiterhin egal ist, vermutlich auch richtig. Und dennoch befinden wir uns an einem wichtigen Moment. Denn jetzt ist die Zeit gekommen, das alles in Frage zu stellen. Wir brauchen keinen Twitter-Ersatz. Die Suche nach dem Twitter-Nachfolger ist hiermit beendet.

Bundling und Unbundling. Diese beiden Worte beschreiben, was immer wieder wie Wellen durchs Netz geht: Funktionen werden in eine App oder Plattform zusammengefasst, um dann wieder davon gelöst zu werden. Wofür auch immer ihr einen Twitter-Ersatz gerade braucht: Vielleicht gibt es dafür bereits eine ungebundene, freie Alternative, die ähnlich für euch performt, aber nicht alle die negativen Effekte einer Plattform wie Twitter mit sich bringt.

Was wir nicht brauchen, ist eine weitere Ausprägung und Variation dessen, was uns an diesen Punkt geführt hat. Wir brauchen nicht maximale Freiheit, sondern richtig gut moderierte Communities. Wir brauchen nicht maximale Reichweite, sondern Glaubwürdigkeit. Wir brauchen nicht unfassbar schnellen, hyperindividualisierten Content, sondern geprüfte Fakten und Glaubwürdigkeit. Wir brauchen garantiert keinen Twitter-Ersatz, sondern eine Diskussion darüber, wohin wir in diesen Zeiten mit unserer Mikrokommunikation im Netz eigentlich wollen.

Leave A Comment

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.