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  • Snowcrash und der Kammerjäger

    Snowcrash und der Kammerjäger

    Es war einmal, irgendwo in einer der kaputten Städte, in einem der heruntergekommenen von Revolten gezeichneten Häuserblocks, da schlief eine Monitor-Service-Angestellte einen unruhigen Schlaf, als jemand vor ihre Appartement-Tür trat, einer Tür, die jeden zunächst irritierte. Denn eine Türklingel gab es nicht. Die hatte Snowcrash, gleich nachdem sie eingezogen war, abmontiert. Auch ein Namensschild gab es nicht. Und so blieb der unwillkommene Besucher in der Ungewissheit zurück nicht zu wissen, ob es sich bei dieser Tür um die richtige Tür handelte.


    Das war von Snowcrash durchaus beabsichtigt. Sie wollte keine Besucher. Ihr reichte es vollkommen, wenn sie in die Wohnungen ihrer Kunden musste, in die Hochglanzbüros, in die Arbeitslager der Digitalsklaven, in die dunklen Gassen, in die Rohre und Absteigen zwielichtiger und schroffer Geschäftsleute, in die Keller der VR-Kids. Genug menschliche Gerüche und Kontakte für mehrere Leben. So fühlte es sich zumindest für Snowcrash an.

    Niemand besucht Snowcrash, niemals.

    Snowcrashs Magen zog sich abrupt zusammen, und die Ursache für diese Reaktion war kein schlechtes Essen oder Hunger. Es war ein Geräusch, das Geräusch von draußen vor der Tür. Ihr Magen hatte sich zusammengezogen wie ein Muskel, der sich bei Gefahr anspannt, um einen Sprung zu machen. Und das tat er ganz intuitiv und mit einer solchen Präzision, das Snowcrash ganz genau wusste, dass etwas nicht stimmte. Ihr Magen war wie eine Hundenase: Empfindlich und zuverlässig in der Ankündigung einer Gefahr. Hunde haben Nasen, Snowcrash einen Magen.

    Sie rutschte vorsichtig von der Bettkante und nahm ihr Pad vom Loader, aktivierte die Cam im Flur, bekam aber außer Verzerrungen nichts rein. „Fuck“, dachte sie sich, „nicht schon wieder.“ Sie hatte das verdammte Teil schon zwei Mal reklamiert. Der fette Scanner im Trashshop hatte ihr immer wieder defekten Kram angedreht. Dieses mal würde sie ihn hacken und mit irgendeiner Scheiße erpressen. Verdient hatte er es auf jeden fall. Vielleicht würde sie auch einfach das nächste Mal woanders hingehen, auch wenn das bedeuten würde ein bisschen mehr zu zahlen. Das war es wert.

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    Mit dem Pad in der Hand schlich sie wie eine Katze bis ein paar Meter vor die Wohnungstür und schaltete in den Verteidigungsmodus. Alle Sinne waren auf Alarm geschaltet, ihr Kopf war leicht gedreht, denn mit dem einen Ohr hörte sie besser als mit dem anderen. Und so war es nur von Vorteil, wenn sie das besser hörende Ohr in die Richtung drehte, aus der sie die Bedrohung erwartete. So stand sie da in der Unterwäsche, mit der sie gestern Nacht irgendwann in ihr Bett gefallen war, fröstelte, als sie ein Stoß der kühlen Luft aus der Klimaanlage traf. Ihre Beinhaare stellten sich auf. Ihre spitzen Brüste zeichneten sich deutlich unter ihrem Hemdchen ab.

    „Frau XXXXX, bist du da?“ Snowcrash zuckte zusammen, verharrte dann aber bewegungslos. Sie hatte sich also nicht getäuscht. Jemand hatte den absurden Versuch unternommen sie in der echten Welt aufzusuchen. Sie nahm ihr Pad und aktivierte den Stimmenscanner. „Frau XXXX, ich habe versucht dich zu erreichen. Ich habe eine Mitteilung für dich.“ Snowcrash hasste ihren echten Namen. Er fühlte sich an wie die kratzigen Pullover aus ihrer Kindheit. Sitzt schlecht, kratzt am Hals und stinkt irgendwie nach Kiste.
    Der Stimmenscanner zeichnete die männliche Stimme auf und begann die Analyse. Noch war es zu wenig Input, um ein zuverlässiges Ergebnis zu liefern. 45 Prozent Wahrheitsgehalt sagt einfach mal gar nichts aus. Wenn sie mit ihrer Mutter telefonierte, hatte sie mehr Prozente.

    „Ich kann die Mitteilung nur an Dich persönlich übergeben. Wenn du da bist, mach bitte auf. Dringlichkeitsstufe A.“ Snowcrash hatte weder schon mal etwas von einer Dringlichkeitsstufe A gehört, noch davon, das eine Nachricht nur persönlich übergeben werden konnte. Sie lebten in einer Zeit, in der online geheiratet werden konnte, ohne den Partner jemals in echt zu Gesicht bekommen zu haben.

    47 Prozent.

    Snowcrash atmete flach, um ihren Atem selbst für sich unhörbar zu machen. Sie schob einen simulierten Regler auf dem Pad ganz nach oben und achtete auf den visuellen Output. Nichts. Verpiss dich endlich, dachte sich Snowcrash.

    _________________

    Ein paar Stunden später, der unerwartete Besuch hatte sich ohne weitere Versuche in die Wohnung zu kommen verabschiedet, saß Snowcrash mit Luisa in Luisas Lieblingscafé. Nachdem der Störer sich vom Acker gemacht hatte, hatte Snowcrash sich eine lange Dusche gegönnt und den Angstschweiß mit mehreren Malen Einschäumen abgewaschen, sich in ihre Kluft geworfen, den kleinen Werkzeuggürtel umgegurtet, ihr Pad in die Hand genommen, den Rucksack umgehangen und vorsichtig die Tür geöffnet, nicht ohne vorher einen Wärmescan gemacht zu haben. Die Luft war rein, sie floh auf die Straße und tauchte dort im Regen unter ihrem Mantel ab. Snowcrash war ins Upper gefahren, dem Viertel derer, die zu den Gesegneten gehörten, war mit ihrem Pass und einer Lüge an den Kontrollen vorbeigekommen und um 20 Minuten zu spät an den Tisch gekommen, den Luisa immer reservieren ließ. Es war ein fantastischer Tisch und Snowcrash liebte es dort zu sitzen, denn dort hatte sie die Übersicht über die Stadt. Das Café hatte einen Balkon, 100 Stockwerke über der Stadt und ihr Tisch war am äußersten Rand des Balkons. Transparentes Aluminium schützte sie davor abzustürzen, aber auch vor Wind und dem sauren Regen, der nie aufzuhören schien.

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    An diesen Ausblick trat sie nun, als Luisa von ihrem Pad aufsah und sie anlächelte.

    „Da bist du ja, Kleines, ich dachte schon du kommst nicht mehr. Du glaubst nicht wer mir gerade geschrieben hat. Ich habe dir ja schon von Jex erzählt, weisst du noch? Der blondierte Techniker mit dem Sidecut, der neulich bei mir war und er will sich jetzt doch mit mir treffen. Ich weiß aber nicht, ob ich ihn noch was zappeln lassen soll. Eigentlich ist er ja gar nicht mein Typ.“

    Snowcrash setzte sich auf ihren Platz, nachdem sie Luisa kurz gedrückt hatte. Sie ließ Luisa plappern und schaute vom Balkon herab. Jemand brachte ihr einen Shake.

    „Schätzchen, geht’s dir gut?“ Snowcrash schaute auf und lächelte. Wie lange hatte sie herunter gesehen? Wie lange hatte Luisa ihr schon ihre Lebensgeschichte erzählt? Sie wusste es nicht.
    Luisa war eine Bekannte aus der Zeit, als die Stadt noch intakt gewesen war, falls sie das jemals war. Sie war die Tochter einer Freundin ihrer Mutter und als sie sich zufällig trafen, da war es den beiden danach sich wieder zu treffen. Vermutlich war es die Erinnerung an eine Zeit, die besser war. Vielleicht aber auch an eine Zeit, die sie sich wünschten. Wenn sie sich trafen, konnten sie für ein paar Stunden so tun, als wäre nie etwas passiert. Sie erzählten sich Belanglosigkeiten, Luisa erzählte Belanglosigkeiten und Snowcrash hörte zu, nickte, fragte ab und an mal nach und tat so, als würde sie sich für ihre Geschichten von hübschen Männern, neuen Moden und zickigen Arbeitskolleginen interessieren. Luisa bezahlte dafür die Rechnung, was ein Klacks für sie war. Sie hatte nach den Revolten mehr Glück gehabt als sie und war besser davon gekommen. Sie hatte das Luisa nie vorgeworfen, aber Luisa fühlte sich ein wenig schuldig. Snowcrash fand noch keinen guten Grund, ihr das Gefühl zu nehmen. Manchmal muss man die Menschen ein wenig zappeln lassen.

    Luisa redete weiter, wie sie es immer tat. Snowcrash trank ihren ersten Shake schnell, beim zweiten ließ sie sich so viel Zeit wie möglich. Sie wollte hier nicht weg. Unter ihr rumorte die Stadt. Aus dem Dunst tiefer Häuserschluchten schob sich Blechlawine über Blechlawine, kreuzten Lichter Laser. Vom erschütternden Lärm war hier oben hinter dem klaren Aluminium nichts mehr zu hören. Wäre man dort unten mitten unter ihnen auf der Straße und den Übergängen und Brücken, die sich zwischen den monumentalen Gebäuden erstreckten, hätte man sich anschreien müssen, wenn man versuchen wollte, sich mit jemandem zu unterhalten.

    Später am Abend, sie hatten sich nach drei Stunden voneinander verabschiedet, war Snowcrash noch durch das Upper gezogen, hatte sich treiben lassen, sogar noch einen Auftrag mitgenommen. Es wurde dunkel und die Straßen wurden leiser. Sie war mit der Trans-Bahn umhergefahren und wollte irgendwie noch nicht nach Hause. Als sie bei Joeys noch ein Bier getrunken hatte, entschied sie sich doch endlich nach Hause zu fahren. Mit triefendem Mantel trat sie schließlich aus dem Aufzug heraus und ging zu ihrer Wohnung.

    Auf dem Pad gab sie den Code ein, doch die Tür öffnete sich nicht. Ihr Magen zog sich zusammen. Sie gab den Code erneut ein doch nichts rührte sich. Verwirrt schaute sie auf das Pad, dann auf die Tür, als sie etwas entdeckte. In der Mitte der Tür hatte jemand ein Siegel geklebt. Auf dem Siegel prangerte ein Logo mit einem auf dem Rücken liegenden Käfer. Der Schriftzug „Decontamination Department“ rahmte das Logo ein. Ein paar Silberfäden und ein Hologramm sollten dem Siegel so etwas wie Echtheit verleihen. Eine silberne Flüssigkeit war unterhalb des Sigels heruntergelaufen und wie Bienenwachs erstarrt. Damit wurde es wohl an der Tür fixiert und würde vermutlich für immer einen Fleck hinterlassen.

    ‚Ist das Ding gechippt?‘ Dachte sich Snowcrash, aktivierte eine Firewall und scannte nach RFIDs. Tatsächlich fand sie eine offizielle Signatur. Eine schnelle Suche im Trans-Netz und eine Gegenrecherche bestätigte die Echtheit des Zertifikats. „Das kann doch nicht sein, verdammt noch mal!“ Fluchte sie. Sie öffnete ihre Mails, aber eine Nachricht hatte sie nicht bekommen. Da erinnerte Sie sich an den morgendlichen Besucher. „Das war ein Rattenfänger!“ durchschoss sie der Gedanke. Jemand musste sich einen schlechten Scherz mit ihr erlaubt haben. Sie erinnerte sich, dass sie bei der Mietbehörde eine Fake-Kontakt-ID angelegt hatte. Als sie auch diesen Account checkte, fand sie schließlich die Nachricht.

    „DECONTAMINATION DEPARTMENT
    DISTRICT 89,7 –

    AMTLICHE ANKÜNDIGUNG

    AN DIE BEWOWHNER DES APPARTMENTS 121212-13,

    HIERMIT WERDEN DIE BEWOHNER ÜBER DIE DEKONTAMINATION IHRER WOHNEINHEIT INFORMIERT.
    ZUM ANGEGEBEN TERMIN WIRD EINE KOMPLETTE DEKONTAMINATION IHRER WOHNEINHEIT DURCHGEFÜHRT. ALLE BIS DAHIN NOCH IN DER WOHNEINHEIT BEFINDLICHEN GEGENSTÄNDE WERDEN DER DEKONTAMINATION ZUGEFÜHRT.

    WIR WEISSEN SIE HIERMIT DARAUF HIN, DIE WOHNEINHEIT ZU RÄUMEN UND IHR EIGENTUM AUS DER WOHNUNG ZU ENTFERNEN.

    DIE BEAUFTRAGUNG DER DEKONTAMINATION ERFOLGTE AUS EIGENVERSCHULDEN UND HAT EINE FRISTLOSE KÜNDIGUNG DES MIETVERHÄLTNISSES ZUR FOLGE: EIN ANSPRUCH AUF ERSATZ DES DURCH DIE DEKONTAMINATION ENTSTANDENEN VERLUSTES AN PRIVATEIGENTUM KANN NICHT GELTEND GEMACHT WERDEN.
    EIN EINSPRUCH KANN NICHT EINGELEGT WERDEN.

    DIES IST EINE BEHÖRDLICHE ANORDNUNG UND WIRD NACH ZERTIFIKATSNUMMER 237/7674 DURCHGEFÜHRT.“

    _________________

    „Luisa, ich bin’s. Sie haben meine Wohnung geräumt. Es ist alles weg!“ brüllte Snowcrash gegen den Verkehrslärm in ihr Pad. Die Stimmprozessoren hatten Mühe die Sprache herauszufiltern, doch Luisa schien sie trotzdem verstanden zu haben. „Wieso, was ist passiert?“ Snowcrash hastete durch den sauren Regen zur Trans-Bahn und ließ sich von der Rolltreppe nach unten bringen. „Sie haben meine Wohnung dekontaminiert. Ich kann’s nicht fassen.“ Hier unten war es deutlich ruhiger. „Schätzchen, was erzählst du denn da? Wo bist du?“ Mittlerweile war Snowcrash am Bahnsteig angekommen. Nur wenige Leute warteten auf die Trans und starrten entweder auf ihre Pads oder waren so in ihre Mäntel gehüllt, dass man ihre Gesichter nicht sehen konnte. „Ich glaube jemand hat es auf mich abgesehen. Erst diese krasse alte Elektrohexe und jetzt das. Ich bin so am Arsch, Luisa, ich bin so am Arsch!“ „Schätzchen, jetzt beruhige dich mal. Du setzt dich jetzt erst mal in die Trans und kommst zu mir. Alles klar?“ „Ja, ok. Bis gleich.“ Snowcrash beendete die Verbindung. Die Trans kam und sie stieg ein.

    Snowcrash schaute aus dem Fenster, was ein etwa handbreiter Spalt in der Außenhülle des Waggons war. Die Trans fuhr so schnell, das sowieso kaum etwas anderes zu sehen war als Streifen aus Licht und Farben, als ob sie durch einen Tunnel aus Glasfaser schießen würden.

    Für Snowcrash war es genau das, was sie sehen wollte. Ihr gingen tausend Gedanken durch den Kopf und sie konnte sich kaum auf irgendetwas fokussieren. Dann lieber in einem Meer aus Licht schwimmen, wie ein Photon durch Glas geschossen werden und nur ein Teilchen von Trilliarden sein, in einem unfassbar großen Universum und in vollkommener Unwichtigkeit versinken. Befreit sein von all der Scheiße, die ihr widerfuhr.

    Beinahe übrhörte sie das Signal, das ihr sagte, das sie ihre Station erreicht hatte. Sie warf sich zwischen die zugleitende Trans-Tür und zwängte sich gerade noch raus, rempelte dabei aus versehen einen dicken Mann in einem Mantel an, der von außen wie Metal aussah aber an seinem Kragen hunderte Federn hatte. Die aktuelle Mode der Wohlhabenden sich synthetische Federn an den Kragen zu machen, kannte sie aus Luisas Schilderungen und aus ihren Besuchen im Upper-District. Das war allerdings der erste, mit dem sie auch auf Tuchfühlung ging. Der Mann musterte sie nur kurz, kümmerte sich dann aber lieber wieder um sein Pad. Snowcrash bewegte sich durch die Station in Richtung Ausgang. Anders als bei anderen Stadtteilen, bei denen man ohne Probleme von einem in den anderen gehen konnte, wurde das Upper von einer privaten Sicherheitsfirma kontrolliert. Sie zückte schon mal ihren Dienstausweis und ging entschlossen auf die Kontrolleinheiten am Schalter zu.

    „Ich habe einen Auftrag im Upper, hier ist mein Pass.“ Der Security-Angestellte scannte ihren Pass und schaute erst einmal eine Weile auf sein Pad. Als nichts geschah, fügte Snowcrash hinzu: „Frau Sulaweyo im Upper Sieben hat einen technischen Defekt gemeldet. Und…“ Der Security-Angestellte unterbrach sie harsch: „Du kommst heute nicht rein. Und wenn ich dir einen guten Tipp geben kann, verpiss dich, Kleine. Der Fette dahinten hat ein Auge auf dich geworfen, so wie es aussieht. Du hast wohl irgendwas ausgefressen, was?“ Snowcrashs Magen machte erneut einen Sprung. Sie stopfte sich den Pass oben in den Mantel, zog den Reissverschluss bis nach oben und umklammerte ihr Pad. Sie drehte sich um und wenige Meter vor ihr stand jener Mann, den sie zuvor angerempelt hatte. Offensichtlich scannte er sie mit seinem Pad. Snowcrash hob die Hand vor das Gesicht, aber es war wohl schon zu spät. „Frau XXXXX, sind sie Frau XXXXX?“ sagte der Mann und fing an sich auf sie zu zu bewegen. Da fuhr die nächste Trans ein und Crash ging ein paar Schritte zurück. Gerade als die Trans die Türen schließen wollte, rannte Snowcrash los, täuschte Links an, rannte rechts an dem Mann vorbei. Gerade noch rechtzeitig, denn die Trans setzte sich in Bewegung, erreichte in wenigen Sekunden die Maximalgeschwindigkeit, sauste wie ein Photon durch die Tunnel unter der kaputten Stadt, an dessen Oberseite sich die Menschen mit säureressistenen Mänteln schützten und in den Transbahnen voreinander flohen. Snowcrash floh, stieg ein paar Mal um und flüchtete sich in ein Viertel, in dem sie keiner suchen und erst recht nicht finden würde.

    Mein herzlicher Dank geht an Saskia Overath für die wunderbare Illustration, die sie für dieses Märchen extra entworfen hat.


  • Recycling einer Recyclingmaschinenfabrik

    Recycling einer Recyclingmaschinenfabrik

    [drop_cap]Als ich vor wenigen Tagen durch meine Facebook-Timeline scrolle, fällt mir eine Bilderserie von Oliver Wüntsch auf. Sie zeigt eine leere Fabrikhalle, die zu einer Zeit gebaut wurde, zu der man noch Backsteine verwendete. Braune Flächen auf grauem Boden, wo früher einmal große Maschinen standen. Die Bilderserie zeigt Menschen, die gut gelaunt und interessiert sich umschauen und durch die Halle spazieren, wie sie von einer Empore herab in den nun leeren Fabrikraum schauen.[/drop_cap] (mehr …)
  • Snowcrash und die elektrische Hexe

    Snowcrash und die elektrische Hexe

    Es war einmal, in einer kaputten Stadt, eingepfercht zwischen zwei zerstörten Atomkraftwerken, eine Monitor-Service-Angestellte von einer gewissen Hässlichkeit. Sie nannte sich Snowcrash, denn das Erste, an das sie sich erinnern konnte, der erste Screenshot ihres Lebens, war das Rauschen eines Monitors, wie Schneegestöber, wie ein Schneesturm aus schwarzen und weißen Pixeln, durch den sich von oben bis unten ein Riss zog.

    An einem Abend, sie war gerade von einer nicht enden wollenden Schicht nach Hause gekommen, ihre Geräte, die sie noch auf dem Rücken hatte, standen wie Tentakel zu allen Seiten ab, ihr Mantel noch tropfend und glitzernd vom sauren Regen, da meldete sich das Neocom mit einem Dringlichkeitsalarm. ‚Nicht jetzt‘, dachte sich Crash, warf ihr Zeug ab und ließ sich in ihren Ohrensessel fallen, der wie eine alte Federkernmatratze knarzte. Eine grüne Feinstaubwolke stob unter dem Sessel hervor wie ein nuklearer Furz.

    © Saskia Overath
    Snowcrash in ihrem Ohrensessel // © Saskia Overath

    ‚Neocom aktivieren‘, flüsterte Crash fast. Sie brauchte nicht laut zu sprechen, sie brauchte eigentlich gar nicht sprechen. Eine Lippenbewegung würde reichen, damit das System ahnte, welchen Befehl sie gab. Der Monitor vor ihr flackerte und sprang an, eine kleine Animation erschien, auf die sie ein bisschen stolz war: Auf einem schwarzen Hintergrund erschienen viele weiße Pixel, die wie wild herumsprangen und nach einer Sekunde ihren Namen bildeten, Snowcrash. Verdammt coole Intro, dachte sie sich, skippte weiter zum Statusscreen, öffnete die Messages und sah die Meldung. Sie zögerte. Sie hatte gerade echt keinen Bock auf einen Notfall. ‚Irgendein Screener der seine Pornos nicht schauen kann, oder so. Warum kann der nicht bis Morgen warten?‘

    _________________

    Kurze Zeit später verließ sie die Trans-Bahn, deren einziger Passagier sie gewesen war. Ihre Stiefel klapperten, als sie die Treppen hinaufstieg, zurück in den sauren Regen, in die Nacht, in die oberirdische, verrückte Stadt. Alles war nass und alles reflektierte die Reklametafeln und den Schein der vielen Werbemonitore. Block 9000, Ecke Curlington Street. Noch 5 Minuten zu Fuß. Sie drückte vor dem Gebäude die Klingel, auf der nur die Apartmentnummer stand und wartete. Sie spürte, wie ihre Füße in den säureresistenten Stiefeln pulsierten. Zu viele Schritte auf diesen durchgelatschten Sohlen für heute.

    Ein Brummen, die Tür schnappte auf und sie trat in das gewaltige Treppenhaus. Dioden emittierten kühles Licht. Sie waren lieblos an die Wände geklebt worden. Snowcrash schlug die Kapuze ihres Mantels zurück, eine Strähne ihres schwarzen Haares hing ihr ins Gesicht. Der Aufzug brachte sie in die achtzigste Etage und als sie in den Flur trat, merkte sie wie müde sie war. Sie konnte kaum die Augen aufhalten. ‚Stell dich nicht so an, Crash.‘ sagte sie sich.

    „Systemrecovery aufspielen, Kanäle testen und dann wieder raus. 10 Min max.“

    Sie sah sich schon in der Trans nach Hause fahren. Als sie schließlich vor der Tür stand, hörte sie leise Musik. Ein schwacher Schein kam unter dem Türspalt hervor. Crash drückte die Klingel und im selben Moment durchstieß sie ein Elektroschock. Es folgte ein pulsierender Schmerz, der auf der Stelle alle Muskeln lähmte. Sie sackte zu Boden und konnte sich nicht mehr rühren.

    Doch sie war bei vollem Bewusstsein.

    Einen Moment später sah sie, wie die Tür geöffnet wurde. Jemand lugte zwischen dem Türspalt hervor. Viele kleine Lichter befanden sich dort, wo das Gesicht hätte sein sollen. Eine gelbe Diode, ein roter Laser, ein grünes LED Display, blinkend und pulsierend. Sie schienen Snowcrash zu scannen. „Ja wen haben wir denn da?“ hörte sie jemanden sagen, mit einer alten und rauen Stimme. Die Tür ging weiter auf, sie spürte, wie sie an einem Bein gepackt und über die Schwelle gezogen wurde. Die Tür ging automatisch wieder zu und zischte, als sie verriegelt wurde. Innerhalb des Apartments war es stickig und es roch nach verbranntem Staub.

    Crash lag auf dem Rücken und sah die Zimmerdecke: Schläuche und Rohre, die kreuz und quer übereinander und untereinander her führten. Die Kabel und Glasfaserleitungen, Platinen, Abdeckungsplatten und wackelnde Ventilationslamellen bildeten einen merkwürdig lebendigen Teppich. Crash erholte sich ein wenig von dem Schock, als sie quer durch den Raum geschleift wurde. Jemand kicherte, und Crash meinte etwas Vorfreude in diesem Kichern zu hören. Aber an diesem Kichern war noch etwas anderes: Es klang wie mit einem Overdrive getuned, irgendwie künstlich, aber definitiv weiblich. Ihr Bein wurde losgelassen und plumpste zu Boden, sie waren irgendwo angekommen. Da beugte sich jemand über Snowcrash und sie erkannte eine alte Frau. Ein Laserstrahl, der von der Aperatur ausging, die die Alte in ihrem Gesicht trug, scannte Snowcrashs rechtes Auge.

    „Gut, gut, was haben wir denn da?“

    Die Alte tastete Snowcrashs Schädel ab. Ihre Handschuhe waren mit Elektroden beklebt und jedesmal, wenn sie damit Crashs Kopfhaut berührte, kribbelte es.

    „Enzephalogramm OK. Ein bisschen dürr vielleicht, was? Dass ihr Mädchen nichts mehr esst! Ihr seid so dünn, ihr schafft keine zwei Wochen mehr. Dir gebe ich eine.“

    Die Alte seufzte enttäuscht, fummelte jetzt an Crashs Arm herum und stach etwas hinein. Der Schmerz war da, aber Crash konnte einfach nicht zusammenzucken.

    „Du musst fetter werden! Dein Gehirn braucht Energie!“

    Die Alte schnaubte. Da spürte Crash wie etwas ihren Arm hinauf krabbelte, aber es war nicht auf der Haut, es war unter der Haut. Ein Entsetzen überkam sie, Panik stieg in ihr auf und da konnte sie endlich wieder etwas bewegen, nachdem sie von der Türklingel den Elektroschock verpasst bekam: Sie blinzelte. Im selben Moment wich die Alte zurück, so als hätte das Blinzeln eine Push-Nachricht an sie geschickt. Da warf sich die Alte auf Crash und presste die Hände auf ihren Brustkorb, an denen sich ähnlich wie auf dem Gesicht der Alten so allerlei Teile befanden. Erst zerbrach etwas, dann erneut ein entsetzlicher Elektroschock. Das war zuviel für Crash und sie verlor das Bewusstsein.

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    Als Snowcrash wieder zu sich kam, konnte sie sich wieder bewegen. Zumindest hätte sie es gekonnt, wenn sie nicht auf irgendeiner Art Apparatur festgeschnallt gewesen wäre. Sie testete ihre Muskeln und spürte, wie sie sich zusammenzogen und wieder entspannten. Sie konnte auch ein wenig sehen, aber alles war verschwommen.

    Als Crash sich umsah, was sie tat, in dem sie die schmerzenden Augäpfel bewegte, konnte sie sich nur schwer einer weiteren Panik-Attacke entziehen. Sie war in einen Alkoven gegurtet und überall an ihr hingen Kabel und Schläuche. Auf ihrem Kopf war irgendetwas schweres, ihre Kopfhaut kribbelte wie verrückt und sie wollte sich unbedingt kratzen, aber sie konnte nicht. Es war ein schreckliches Gefühl. Als sie den Blick hob, sah sie einen weiteren Alkoven, in dem noch jemand festgegurtet war. Sie konnte nicht erkennen, ob die Person noch lebte oder nicht. Auf jeden Fall war sie völlig ausgemergelt, wie ausgesaugt. Auf ihrem Kopf trug sie eine Apparatur wie eine Krone und über ihr Gesicht lief eine dicke, fast schwarze Flüssigkeit, die auf den versifften Boden troff. Die Haut war wie Papier, zerknittert und beschmiert. ‚Wie Jesus‘, dachte Crash. Da überkam sie eine tiefe Traurigkeit und ein Gefühl der Verlorenheit überwältigte sie. ‚Wo bin ich hier nur gelandet?‘ Sie weinte eine Weile und als sie keine Tränen mehr hatte, schlief sie ein.

    Crash wusste nicht, ob sie es nur träumte, oder ob sie wach war. Sie hatte das Gesicht der Alten vor sich, spürte ihre prüfenden Berührungen, hörte ihre seltsame Stimme, ein Meckern, das Fauchen. Dieses Fauchen! Dann war sie wieder weg und hinterließ einen beißenden oder bitteren Geruch wie Ozon. Erinnerte sie sich immer wieder an die gleiche Situation, oder waren es unendlich viele? Entweder war sie in einem Raum-Zeit-Kontinuum oder sowas gefangen, oder sie wurde so langsam verrückt.

    Als Crashs‘ Bewusstsein etwas klarer wurde, spürte sie wie wütend sie war. ‚Was zum Teufel geht hier ab!?‘ Sie fing an ihre Muskeln zu benutzen, spannte sie an, entspannte sie, spannte an, entspannte. Mit ihrem linken Arm hatte sie etwas Spiel zwischen Band und Haut. Der Schweiß half etwas. Systematisch arbeitete sie an diesem Spiel, versuchte ihn zu vergrößern und bildete sich ein Fortschritte zu machen.

    Dann geschah es: Das Band löste sich und ihr Arm fiel schlaff herunter und baumelte nun frei herum. Wie lange hatte sie dafür gebraucht? Sie wusste es nicht. Ein Gefühl des Triumphes überkam sie. Als sie wenig später alle Bänder gelöst, die Infusion entfernt und die Elektroden abgerissen hatte und sie auf allen Vieren auf dem Boden hockend langsam den Kopf hob, sah sie sich direkt in die Augen. Was sie zuvor gesehen hatte, war kein weiterer Alkoven, es war ein Spiegel und sie sah sich selbst. ‚Mein Gott siehst du scheiße aus.‘ Wie lange war sie schon in diesem verdammten Appartement? ‚Diese alte … Hexe!‘ sagte Snowcrash. Sie war wütend und versuchte sich aufzurappeln, denn die Alte würde sicher jeden Moment hereingestürmt kommen.

    Als die Alte kam, hatte sich Snowcrash bereits neben einem dicken Kabelkanal an die Wand gedrückt. Sie umklammerte mit ihrer rechten Hand einen Splitter, den sie irgendwo zwischen Schläuchen und Kabeln gefunden und mit Stoff umwickelt hatte. Jetzt ließ sie sich von hinten auf die Hexe fallen und stieß den Splitter mit ihrem ganzen Gewicht in den Rücken der Hexe. Diese Schrie auf und wirbelte im Fallen herum. Crash führte einen zweiten Stoß aus, den die Alte mitten im Gesicht traf. Sie musste irgendeine elektrische Komponente getroffen haben, denn es kam zu einem Kurzschluss und zu einer heftigen Entladung, die sie beide in gegensätzliche Richtungen warf.

    ——–

    Als Crash aufwachte, bekam sie kaum noch Luft. ‚Es brennt irgendwo,‘ dachte sie. ‚Brennt es hier? Es brennt!‘ Sie rappelte sich auf und sah wie die Hexe brannte. Flammen schlugen bereits aus der Apparatur, in die sie zuvor geschnallt gewesen war. Es war noch immer Saft drauf, denn es zischte und Funken stoben hier und dort hervor. Mit zitternden Knien stellte sich Crash neben die brennende Leiche und sah auf sie herab. „Dann doch lieber Porno-Scanner,“ dachte sie sich. Sie suchte ihr Zeug zusammen und hätte sich gerne in Ruhe im Apartment dieser kranken Alten umgesehen. Aber der Feueralarm musste längst die Techniker alarmiert haben und sie hatte absolut keine Lust auf Fragen. Hustend entriegelte sie die Tür und trat auf den Flur. Rauchschwaden zogen heraus, Funken sprühten, als durch den zusätzlichen Sauerstoff das Feuer angefacht wurde. Als sie aus dem Aufzug und auf die Straße trat, kam ihr der ewige saure Regen wie eine Erlösung vor. Die nasse Straße reflektierte die blinkenden Reklametafeln.

    Crash stand in ihrem Apartment und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. „Diese verdammte Hexe“, dachte sie sich, als sie einfach alles von sich abstreifte, ihre Werkzeuge, den Mantel, ihre Klamotten und sich zur Dusche schleppte. Sie wusch den ganzen Schmutz von ihrem brennenden Körper ab, schäumte sich mehrmals ein und hatte dennoch das Gefühl noch immer nicht wirklich sauber zu sein.

    27. Dezember 2015, DROID BOY

    Mein herzlicher Dank geht an Saskia Overath für die wunderbare Illustration, die sie für dieses Märchen extra entworfen hat.

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    Blattkritik: 101 Digitale Köpfe NRW / Edition 01

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