Den Verführbaren

Ich möchte im Eifer unseres Gefechts gegen Nazis und Islamisten, denen mit Argumenten nicht mehr beizukommen ist, und im Ausdruck für freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit im Angesicht des Anschlags auf Charlie Hebdo eine Dimension der Diskussion hinzufügen, die droht unterzugehen. Es geht mir um jene, die Mitlaufen. Um jene, die sich aus welchem Grund auch immer, von dem angezogen fühlen und mit den Glatzen jeden Montag in Dresden zu Tausenden auf die Straße gehen oder die zu hunderten in islamistische Ausbildungslager gehen. Es geht mir um die, die verführbar sind.

 

In der letzten Woche habe ich mich in Diskussionen auf Twitter und hauptsächlich auf Facebook beteiligt, in denen es um PEGIDA und jetzt natürlich besonders um den Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo ging. Und wie viele andere bin ich tief betroffen über diese verachtenswerte Untat in Paris.
Ich bin froh, wenn ich sehe, wie viele Menschen ihre Solidarität bekunden, und auf die Straße gehen. Insbesondere in Köln fand ich die Demo gegen Pegida sehr beeindruckend, bei der die Außenbeleuchtung des Domes und anderer Kirchen ausgeschaltet wurde (siehe mein #dailydomvideo dazu).

 

#dailydommovie #dailydom Das Licht geht aus! #nokoegida #koegida

A video posted by @boydroid on

 

Was mich nachdenklich macht sind Äußerungen, denen man im Normalfall den Tatbestand der Beleidigung unterstellen würde. Menschen, die sich klar gegen PEGIDA und gegen Gewalt jeder Art stellen wollen, beschimpfen und beleidigen zum Beispiel Teilnehmer einer PEGIDA-Demonstration zunächst als Deppen, im nächsten Schritt „Gerne auch alle anderen Schimpfwörter.“ Ich halte sie emotional für absolut gerechtfertigt. Denn sie macht klar: Mit mir nicht! Zugleich erschrecke ich mich aber, wenn inbesondere Personen, die politisch aktiv sind und sogar in Landtagen sitzen ihre Sprache nicht reflektierter einsetzen. Das wundert mich schon! Warum? Ist es nicht gut, sich klar und deutlich von denen abzugrenzen, die gegen ein freies und tollerrantes Deutschland sind? Ja!

Doch will ich zu bedenken geben: Es gibt jene, denen mit Argumenten nicht beizukommen ist. Denen sollt man gar keine Aufmerksamkeit, noch nicht mal Schimpfwörter geben. Und es gibt jene – und das ist die Masse derer, die in Dresden und anderen Orten auf die Straße gegangen sind – die jetzt durch die harsche Art in die Defensive gedrängt werden. Und einfach nicht mehr sichtbar sind, aber am Wahltag dennoch ihr braunes Kreuzchen machen werden. Warum? Weil man sie wieder nicht ernst genommen hat, sie sogar eingeschüchtert hat, und sie in die gleiche Niesche mit denen steckt, die Unbeirrbar und unbelehrbar sich das Dritte Reich zurück wünschen. Wenn ich mir vorstelle man würde mich so behandeln, weil ich mein demokratisches Recht nutze zu demonstrieren und meine Meinung sage, ich würde entweder sehr traurig werden, oder agressiv, oder einfach frustriert und ohne viel zu denken, noch viel schlimmeres Wählen.

In beiden Fällen, sowohl bei den Unbeirrbaren, als auch bei denen, die verführt wurden, bringen Beleidigungen nichts. Bei den einen prallen sie ab, bei den anderen verstärken sie im schlimmsten Fall, was man eigentlich bekämpfen wollte.

Wir wollen in einer freien und multikulturellen Gesellschaft leben, begegnen denen, die in Not sind und sich nicht anders zu helfen wissen, als auf einer Demo einfach dagegen zu sein mit Hohn und Schäme und Spot. In ihnen ist genug Energie, das sie auf die Straße gehen und sogar Schilder basteln.
Ist es da für euch nicht verständlich, wenn ich da irgendwie irritiert bin? Geht es denn nicht gerade als politischer Mensch darum, allen, die Beleidigen, die nur aus einem Gefühl heraus handeln, zunächst einmal ein Ohr zu geben und Verständnis entgegen zu bringen? In all dem „Mit den Nazis kann man nicht diskutieren“, was ja auch stimmt, vergessen wir glaube ich dann doch hinzuhören und zu schauen, was denn auf einmal so viele Menschen in Dresden auf die Straße gebracht hat.

Ich frage mich, wie wir den Verführbaren ein Angebot machen können, das sie sich weniger von den Verführungen der Nazis als viel mehr von unserem Angebot einer offenen und demokratischen Gesellschaft angezogen fühlen.

Ich glaube nicht, das wir eine offene und demokratische Gesellschaft bekommen, wenn wir  sie als Deppen bezeichnen, oder als dumm.

Da müssen wir uns als diejenigen, die die politische Weisheit mit Löffeln gefressen haben, die wir uns über diesen Menschen sehen, weil die ja keine Ahnung haben, oder einfach nur dumm sind, klar sein: SO baut man in der Tat keine offene und lebenswerte Gesellschaft auf. Und gerade als politischer Mensch muss eine Diskussionskultur das Beleidigen ausschließen und das Zuhören und Respekt zeigen kultiviert werden. Und es geht darum integrativ zu agieren. Nicht Meinungsbildung durch ausschluss und soziale Isolation, sondern durch Integration und Argumentation.

 

Um es einfach nochmal ganz klar zu sagen: Ja, mit Glatzen zu diskutieren, das macht keinen Sinn. Ihnen sollte man gar keine Aufmerksamkeit schenken. Denn genau darum geht es ihnen ja. Gesehen werden, und jene Verführen, denen wir kein Ohr schenken, weil die ja sowieso nichts beizutragen haben. Diesen Nährboden müssen wir den Nazis (und den Fundamentalisten) entziehen. Und darum ist jede Art der Beleidigung zumindest für jene unbedingt zu vermeiden, die sich trauen politisch positiv wirken zu wollen.

 

Disclaimer: Für gewöhnlich halte ich mich mit politischen Statements auf diesem Blog zurück. In diesem Fall war es mir aber ein Anliegen für eine offenere und respektvolle Art einzutreten. Denn man kann nur das fordern, was man selbst vorlebt. Und darum versuche ich mich hier in dieser Stellungnahme und lasse mich gerne daran messen.

 

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